N. Gex u.a. (Hrsg.): Les Vaudois et leurs armées

Cover
Titel
Les Vaudois et leurs armées. Regards sur l’histoire militaire d’un canton


Herausgeber
Gex, Nicolas
Erschienen
Pully 2016: Centre d'histoire et de prospectives militaires
Anzahl Seiten
243 S.
von
Jürg Stüssi-Lauterburg

Die Schweiz hat in ihrer bisherigen Geschichte einen militärischen Denker von Weltformat hervorgebracht, Antoine-Henri Jomini aus Payerne. Im Besitz von Jahrzehnten Kriegs- und Friedenserfahrungen, bekannte sich der ehemalige waadtländische Revolutionär zum bernischen Erbe und rief seinen Landsleuten zu: «Jaloux d’imiter l’avoyer Steiguer, vous saurez encore défendre votre liberté. Bernois! Vaudois! Argoviens! Zuricois!» Und in der Tat ist die Waadtländer von der Berner Geschichte und Militärgeschichte in einem gewissen Sinne schon seit dem 13. Jahrhundert und ganz sicher seit dem 15. bis in die Gegenwart nicht zu trennen. Den acht im vorliegenden Werk von Bruno Wägli gewürdigten Waadtländer Vorstehern des EMD beziehungsweise des VBS in den Jahren 1848 bis 2015 (der neunte, Guy Parmelin, amtet seit Beginn 2016) lassen sich die acht bernischen Departementsvorsteher zur Seite stellen. Von 30 Departementsvorstehern bis zu diesem Tag stammen nicht weniger als 17 und, wenn wir einen der beiden Aargauer noch dazuzählen, 18 aus dem Gebiet des Alten Bern. Dessen von Laupen bis Neuenegg über die Jahrhunderte bewiesener militärischer Geist wirkt offensichtlich nach. Der Titel Les Vaudois et leurs armées lässt nun eine Gesamtgeschichte der Waadtländer und ihrer Armeen erwarten, auch zum Beispiel der Waadtländer in der Armee des bernischen Staates 1536 bis 1798, und jedenfalls eine Betrachtung der bernischen, französischen und autochthon waadtländischen Anteile am heute noch spürbaren militärischen Geist des Kantons. Gilbert Marion geht den Abbayes, Schützengesellschaften, nach und beleuchtet die Kontinuitätsfäden: An die Stelle des Treueides auf UUGGHH von Bern trat der Eid auf die Waadtländer Verfassung – in mindestens einem Fall bis 1989 gefordert –, die Aufsicht des Landvogts wurde durch die Aufsicht des Friedensrichters abgelöst und so weiter. Edouard Hediger wendet sich Charles Guillaume Loys de Bochat (1695 –1754) zu. Der Professor an der Lausanner Akademie, Richter, Historiker und politische Schriftsteller verteidigte die Fremden Dienste in der 1738 veröffentlichten Schrift Ouvrages pour et contre les services militaires étrangers. Hediger arbeitet die ethische Basis von Loys’ Verteidigung der Fremden Dienste heraus, denn, würde man diese verbieten, würde man ja den Menschen die Möglichkeiten der Teilnahme an gerechten Kriegen nehmen: «Vous ôtez même absolument aux hommes la liberté de s’engager pour des guerres justes, … de prêter du secours aux opprimés.» Ein weiteres wichtiges Argument für Loys war der Nutzen der Fremden Dienste für die militärischen Kenntnisse und Fertigkeiten im eigenen Land und für dessen Reputation in der Welt: «Le nom de Suisses … ne tarda pas à devenir un titre de Valeur, qui dignement soutenu par leur posterité, a perpetué cette gloire.» Das war ganz im Sinn der Republik Bern. Genau wie das Todesurteil über den ebenso entschlossenen wie einsamen Rebellen Jean Daniel Abraham Davel, welches das Lausanner Strafgericht 1723 fällte, ein Gericht, dem Loys angehörte. Die der Affaire Davel gewidmete Betrachtung von Nicolas Gex illustriert die Verwandlung eines noch 1793 selbst von einem typischen Vertreter des damals Neuen, Jean-Jacques Cart, als Hochverräter titulierten ledigen Einzelgängers zum Vorläufer der Lémaner von 1798 und ihrer Lémanischen Republik, aus welcher der Kanton Waadt entstanden ist. Wer sich ablöst, ist für einen Märtyrer der neuen Sache dankbar. Dieser Märtyrer ist – buchstäblich, seit 1839 erinnert eine Tafel in der Lausanner Kathedrale an Davel – schrittweise von Frédéric-César de La Harpe, Juste Olivier, Charles Gleyre und anderen geschaffen und in die politische Identität des Kantons Waadt integriert worden. Man mag Gex zustimmen, wenn er schreibt, dass die Revolution von 1798 ihren Ursprung in denselben städtischen Gesellschaftsschichten gehabt habe, aus denen sich zwei Generationen vorher Davels Richter rekrutiert hatten. Der französische Einmarsch und die lémanische Revolution werden auf neun Seiten von Pierre Streit als Beitrag zur Militärgeschichte des 24. Januar 1798 geboten, mit deutlich mehr Wahrheitsliebe als in früheren Darstellungen. So zum Beispiel im Satz: «Il fait peu de doute aujourd’hui que l’armée dite de ‹libération› s’est rendue coupable de viols, même si cette réalité reste peu documentée.» Für die Vergewaltigungsorgien der französischen Armee in der Schweiz 1798, ein Mittel der Unterwerfung des Landes unter die Besatzungsmacht, fehlt es an Quellen allerdings nicht, so wenig wie für die Untaten der anderen ausländischen Armeen, welche, als direkte Folge des französischen Einmarsches, 1799 ins Land gekommen sind. Der Sammelband ist reich an biografischen Beiträgen. Jean-Jacques Langendorf bespricht François-Louis de Pesmes de Saint-Saphorin, Henry Bouquet und Charles-Emmanuel de Warnery. Der bedeutende Militärpublizist der Epoche des Ersten Weltkrieges Fernand Feyler hat in Jean-Philippe Chenaux seinen empathischen, ebenso klugen wie kritischen Biografen gefunden. Nachrichtendienstchef Roger Masson (Zweiter Weltkrieg) wird von Pierre Streit und Bundesrat Paul Chaudet (Kalter Krieg) wird von Alexandre Vautravers klug gewürdigt. Insgesamt lässt sich ohne Umschweife festhalten, dass der Band unsere Kenntnisse von der Waadtländer Militärgeschichte ungemein bereichert und auf einen neuen Stand erhebt. Wer es nicht glaubt, braucht nicht mehr als die einfühlsamen zwei Seiten des Vorworts von Suzette Sandoz zu lesen, wo er auf allerdings am Léman seit langer Zeit nicht mehr gedruckte Sätze stossen wird wie: «En effet, la ‹révolution vaudoise› s’est faite contre l’avis d’une très grande majorité de cette population … qui s’accommodait parfaitement de la présence de LL.EE. de Berne …»

Zitierweise:
Jürg Stüssi-Lauterburg: Rezension zu: Gex, Nicolas (éd.): Les Vaudois et leurs armées. Regards sur l’histoire militaire d’un canton. Pully: Centre d’histoire et de prospective militaires 2016. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 79 Nr. 1, 2017, S. 48-49.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 79 Nr. 1, 2017, S. 48-49.

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